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'"Ich hätte nie hierherkommen sollen", gestand Annabelle, während Tränen über ihr unschuldiges Gesicht liefen. In ihrem eleganten blauen Kleid wirkte sie wie ein Bildnis von Aschenputtel, nur dass ihr zarter Körper unter Evelyns kaltem Blick zitterte.
"Ich bin so leid, Evelyn. Das ist alles meine Schuld", fuhr Annabelle fort und senkte ihren Kopf. Schluchzend zog sie die Aufmerksamkeit der Gäste im Erdgeschoss auf sich.
Evelyn presste verärgert die Kiefer zusammen. "Nicht schon wieder", murmelte sie leise.
Ihr Vater hatte zur Feier seines Vertragsabschlusses mit Reign Constructions, dem reichsten Konglomerat des Landes, eine große Party veranstaltet. Doch statt des Festes waren alle mehr von den Gerüchten um Evelyn – der angeblichen falschen Tochter – fasziniert. Evelyn suchte nach Trost und zog sich nach oben zurück, wurde aber sogleich von ihrer vermeintlich liebenswerten Schwester verfolgt, die bereit zu sein schien, erneut eine Szene zu verursachen.
"Glaube mir, Evelyn. Vincent und ich sind nur Freunde. Er hat Mitleid mit mir, weil ich so viele Jahre von deiner leiblichen Mutter gequält wurde", fuhr Annabelle mit zitternder Stimme fort. "Zwischen uns ist nichts Romantisches. Bitte sei nicht böse auf mich", ihre Appelle wurden mit jedem Wort lauter.
Evelyn ballte ihre Hände zu Fäusten. Wenn das Ganze einige Monate zuvor geschehen wäre, hätte sie Annabelle, die tatsächliche Tochter der Familie Wright, die bei Geburt mit ihr vertauscht wurde, umarmt und getröstet. Aber mittlerweile war sie der ständigen Dramen dieser weißen Lotusblume überdrüssig, die immer dazu dienten, sie als böses Biest darzustellen. Der Drang, Annabelle ins Gesicht zu schlagen, wurde stärker, doch sie zwang sich zur Ruhe.
"Das bin ich nicht, Annabelle. Geh zurück zur Party", antwortete Evelyn kühl und drehte sich um, um zu gehen. Doch Annabelle packte ihre Hand fest, und in Evelyn breitete sich eine Irritation aus.
"Sag mir, was ich tun soll! Wie kann ich dein Vertrauen gewinnen und eine gute Schwester sein, Evelyn? Ich schwöre, ich würde alles tun..."
"Würdest du wirklich alles tun?" unterbrach Evelyn sie mit eisiger Stimme. Ihr durchdringender Blick ließ Annabelles vorherige Kühnheit bröckeln, und sie musste den Blick abwenden.
"Antworte mir, Annabelle!" forderte Evelyn, indem sie einen Schritt nach vorne tat. Annabelle war einen Moment lang überwältigt und trat zurück.
"Ja!" Zu Evelyns Überraschung nickte Annabelle mit einem Lächeln, das aber ihre Augen nicht erreichte. Mit einem Blick nach unten ließ sie Evelyns Hand los und stolperte rückwärts. Ihr Absatz verrutschte am Rand der Treppe, und sie ruderte mit den Armen, bevor sie hinunterstürzte, begleitet von ihrem durchdringenden Schrei.
"Anna!" schrie ihre Mutter, Sophia Wright, woraufhin die Musik und das Gespräch verstummten. Keuchen und Gemurmel erfüllten den Raum, als Annabelle die Treppe hinunterrollte und unten mit einem dumpfen Aufprall liegen blieb, Blut strömte aus einer Platzwunde an ihrer Stirn.
Evelyn erstarrte, ihr Herz schlug heftig in der Brust. Angst und Verwirrung überfluteten sie, als die Gäste herbeieilten. Vincent, ihr Verlobter, packte Annabelle als Erster, sein Blick düster auf Evelyn gerichtet, bevor er sich Annabelles blasser Miene zuwandte.
"Du Teufelsweib! Wie konntest du sie nur stoßen?" warf Felicia Blake, ihre zukünftige Schwiegermutter, wütend ein. Zu Sophia gewandt, fuhr sie fort: "Ich habe es Ihnen gesagt, Mrs. Wright. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Sehen Sie, sie ist noch schlimmer als ihre Mutter!"
"Das ist nicht Evelyns Schuld", hauchte Annabelle, ihre Stimme war ein weiches Flüstern. Tränen liefen ihre Wangen hinunter und lösten Mitleid in den Umstehenden aus. Sie kuschelte sich enger an Vincents Brust und fügte hinzu: "Bitte, beschuldigt meine Schwester nicht. Ich hätte vorsichtiger sein sollen."Evelyn spottete laut und schüttelte den Kopf. Noch vorsichtiger? Diese Frau war eine Meisterin darin, sich als Opfer darzustellen!
„Warum hasst du sie so sehr?", forderte ihr Vater, William Wright, heraus, seine Stimme erfüllt von Verachtung. „Ist das deine Art, uns zu danken, dass wir dich immer noch als unsere Tochter behandeln?"
Evelyns Kehle schnürte sich zu, aber sie hatte längst aufgehört, sich zu verteidigen. Wer würde ihr schon glauben? Doch es war ihr ein Rätsel, wie alle übersehen konnten, dass Annabelle trotz ihres dramatischen Sturzes auf der großen Treppe nur leichte Verletzungen davongetragen hatte. Wäre jemand tatsächlich aus einer solchen Höhe gestoßen worden, hätte er sich wahrscheinlich Knochen gebrochen oder Schlimmeres, es sei denn, er wäre ein erfahrener Stuntman.
Aber wer kümmert sich schon um Logik, wenn es um köstlichen Klatsch geht?
„Ich habe genug von dir ertragen, Evelyn!", schaltete sich Vincent ein, seine strenge Stimme unterbrach das murmeln der anderen. Er sah zu ihr hinauf, sein Blick erfüllt von Ekel. „Ich löse unsere Verlobung."
Ein Schmerz durchzuckte Evelyn, doch sie presste ein bitteres Lachen heraus. Narren! Sie waren alle so geblendet von Annabelles Scheinun schuld. Mit einem Blick auf Vincent, ihren einst so charmanten Verlobten, erwiderte sie mit einem Lächeln: „Danke, mein Lieber. Das ist Musik in meinen Ohren."
Ihr gelassenes Auftreten überraschte nicht nur Vincent, der erwartet hatte, sie würde weinen und protestieren, sondern auch alle Anwesenden, einschließlich Sophia.
„Was für eine Irre! Die Enthüllungen müssen sie endgültig in den Wahnsinn getrieben haben", murmelte jemand, als Evelyn sich umdrehte und die Treppe hinaufging, ohne ihrer ‚verletzten' Schwester auch nur einen Blick zu schenken.
Als Evelyn im Korridor verschwand, ließ Annabelle einen stillen Seufzer der Erleichterung hören. Sie blickte zu Sophia und brach bei ihrem Nicken in Vincents Armen zusammen, als würde sie in Ohnmacht fallen.
„Anna!", tönte Vincents verzweifelte Stimme durch den Flur und lenkte aller Augen auf Annabelle. Er tätschelte ihre Wangen, seine Augen weit vor Sorge.
„Wir müssen sie ins Krankenhaus bringen!", rief William drängend und seine sonst so beherrschte Haltung wich der Besorgnis. Vincent nickte und hob Annabelle in seine Arme, um sie schnell nach draußen zu tragen.
Sophia wandte sich, die Augen voller Tränen, an die schockierten Gäste. „Ich bitte um Entschuldigung für Evelyns Verhalten", sagte sie mit zitternder Stimme. „Bitte, erfreuen Sie sich weiterhin am Abend."
Die Gäste tauschten mitfühlende Blicke, während Sophia sich verbeugte und dann aus dem Saal eilte. Sie war die großmütigste Stiefmutter, die sie jemals kannten, ertrug Evelyns Tobsuchtsanfälle seit über zwei Jahrzehnten und behandelte sie wie eine Prinzessin. Doch ihre Bemühungen wurden überschattet von der Enthüllung, dass Evelyn nicht einmal die leibliche Tochter ihres Mannes war.
Als wäre der Klatsch nicht genug, ertönten plötzlich zahlreiche Telefon-Benachrichtigungen im Raum und steigerten das Drama noch. Ein Raunen ging durch die Menge, als alle die neuesten Artikel lasen, die das Internet überschwemmten:
[Eilmeldung: Die als falsche Tochter der Wright-Familie entlarvte Frau wurde erneut in einem Skandal erwischt. Sie wurde dabei gesehen, wie sie das Hotelzimmer mit dem Onkel ihres Verlobten betrat.]