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Ein halb gegessenes Brötchen flog quer über den Obststand und traf den schmächtigen Jungen am anderen Ende. Der Stand war randvoll mit unterschiedlichsten Obstsorten gefüllt. Die Morgendämmerung war gerade angebrochen, und der Obstverkäufer hatte noch keinen einzigen Verkauf getätigt.
"Verschwinde, Du Mistkerl!", brüllte der Mann, der das Brötchen geworfen hatte, den Jungen an. "Der Tag hat kaum begonnen, und schon habe ich einen Bettler am Hals. Was für ein Glück!"
Der Junge hatte den Mann um Obst gebettelt. Seine Bitte wurde mit einem halb aufgegessenen Brötchen im Gesicht beantwortet. Der Junge sah zum Boden, wo das Brötchen landete, nachdem es seine Brust getroffen hatte. Einen Moment lang hielt er inne, dann lächelte er und hob es auf. Mit einem breiten Grinsen sah er zum Verkäufer.
"Vielen Dank, mein Herr!", rief der Junge und verbeugte sich, ehe er schnell davonlief. Der Verkäufer beobachtete, wie der Junge davonrannte, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seinem Laden zu, um ihn für die Kundschaft vorzubereiten. Er hatte keine Zeit, sich um die Belange anderer zu sorgen.
Der Junge verließ die Straße, in der der Markt lag, und trat auf eine schmale Gasse, die sich in beide Richtungen erstreckte. Er bog nach rechts ab und lief einige Sekunden lang, bis er vor einem Gebäude stand, auf dem [Söldnergilde] zu lesen war. Er schlich sich in eine Seitengasse neben dem Gebäude und lief weiter, bis er auf eine Reihe von Hütten stieß. Er ging in eine der kleineren Hütten hinein.
In der Hütte gab es so gut wie keine Möbel. Ein wackeliger Tisch, zwei Decken auf dem Boden ausgebreitet und ein kleiner Schrank in der Ecke bildeten die gesamte Einrichtung. Mehr war nicht da. Die Wände bestanden aus Holzstücken, die reichere Bürger entsorgt hatten. Auch der Tisch und die Decken waren fortgeworfener Abfall.
In der Ecke des Raumes schlief ein kleines Mädchen auf einer der Decken. Sie wirkte etwa 9 bis 10 Jahre alt, doch in Wirklichkeit war sie 12. Ihr schwarzes, langes Haar bedeckte die Löcher in ihren Lumpen. Sie fröstelte, hatte sich jedoch nicht in die zweite Decke gewickelt.
"Daphne, steh auf", sagte der Junge sanft.
Das Mädchen, Daphne, öffnete ihre Augen, blickte den Jungen an und stand sofort auf. Sie sah das Brötchen in seinen Händen.
"Wo hast du das her, Leo? Hast du es gestohlen?", fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. "Ein Obstverkäufer gab es mir. Er scheint neu hier zu sein. Aber nimm, du hast seit gestern nichts gegessen."
Er riss den angebissenen Teil des Brötchens mit der Hand ab und steckte ihn sich in den Mund. Dann gab er den Rest an Daphne weiter, die ihn entgegennahm und daran zu knabbern begann.
"Ich gehe zurück zum Markt und sehe, ob jemand Hilfe braucht. Wenn ich heute arbeite, haben wir vielleicht für zwei Tage zu essen", sagte er.
"Ich komme mit", sagte Daphne.
"Nein, bleib hier. Du bist zu klein und zart. Du könntest dich verletzen", erwiderte er und schüttelte den Kopf.
Daphne schnaufte. "Du bist nicht viel älter als ich, nur um ein Jahr. Und hör auf so zu tun, als wärst du mein Bruder. Das bist du nicht. Es ist nicht fair, dich die ganze Arbeit machen zu lassen."
Er lächelte. "Nun, wir müssten nicht so verzweifelt nach Essen suchen, wenn du nicht krank geworden wärst. Ich musste eine Woche lang hierbleiben, um dich zu pflegen. Du hast dich immer noch nicht erholt. Wenn das passiert, kannst du mitarbeiten."
Daphne seufzte und wandte sich ab. "Okay, tschüss."
"Tschüss, bis heute Abend."
Er verließ die Hütte und ging zurück zum Marktplatz. Es war eine breite Straße mit genügend Platz für die Fußgänger. Kutschen würden hier normalerweise für Stau sorgen, aber da Adlige diesen Ort mieden, war das kein Problem. An beiden Seiten der Straße preisten Händler ihre Waren an und lockten lautstark Kunden an.Einige Stände boten einfache Lebensmittel an, aber der Großteil verkaufte Ausrüstung und Tränke an Söldner. Da die Söldnergilde gleich neben dem Markt war, bezogen die weniger wohlhabenden Söldner ihre Ausrüstung und Tränke eher von den Marktständen als aus den größeren Geschäften.
Er steuerte auf den ersten Stand zu, der ihm ins Auge fiel – einen Stand, an dem Schwerter verkauft wurden. Er trat auf den Händler zu und sagte: "Hallo, brauchen Sie jemanden für kleinere Arbeiten, die Sie nicht erledigen möchten? Ich könnte Ihren Stand aufräumen und die Schwerter putzen."
"Verschwinde, Junge", erwiderte der Händler, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Er ließ sich davon jedoch nicht entmutigen. Er ging zum nächsten Stand und fragte wieder, wurde aber abermals abgewiesen. Hartnäckig fragte er weiter bei allen Ständen nach. Er suchte nach Leuten, die freundlich wirkten, doch niemand sagte zu.
Schließlich kam er zu einem Stand, der Tränke verkaufte. "Hallo, benötigen Sie jemanden für kleine Arbeiten, die Sie nicht selbst machen möchten? Ich kann machen, was auch immer gebraucht wird", sagte er zum Händler, und fügte hinzu: "Soweit ich dazu in der Lage bin."
Der Händler, ein Mann mittleren Alters mit einem stattlichen Bart, blickte auf und sah Leo an, der in Fetzen gekleidet war und höchstens 10 Jahre alt aussah.
"Wie alt bist du?", fragte er ihn.
"Ich bin 13", antwortete Leo mit einem Lächeln. "Ich mag jünger wirken, aber das liegt daran, dass ich als Kind zu wenig zu essen hatte."
Der Mann zuckte leicht zusammen. Er sah sich an seinem Stand um, der blitzblank war und wo für Leo nichts zu tun zu sein schien. Leo erkannte das selbst, als er sich ebenfalls umsah.
"Kein Problem, ich komme ein andermal wieder", sagte Leo und drehte sich zum Gehen, doch der Mann hielt ihn zurück.
"Wie heißt du, Junge?", fragte er Leo.
"Ich heiße Leo. Freut mich, Sie kennenzulernen. Und Sie?", sagte er und streckte dem Mann die Hand entgegen. Diese wurde ergriffen.
"Ich bin Trevor", antwortete der Mann.
"Gibt es also Arbeit für mich, Mr. Trevor?", fragte Leo.
Trevor sah ihn prüfend an. "Wie Sie sehen, ist mein Stand sehr sauber. Tränke zu verkaufen, ist eine ordentliche Arbeit. Hier gibt es also für dich nichts zu tun", stellte Trevor fest.
Leos Lächeln verblasste.
"Aber das ändert sich, wenn du gewillt bist, dein Leben zu riskieren."