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"Lasst mich los! Wohin bringt ihr mich?" Daphne wehrte sich gegen den Griff ihrer Entführer und stemmte sich gegen ihre Hände. Leider war ihre geringe Stärke kein Vergleich zu der von zwei ausgewachsenen Männern, die mit eisernem Griff ihre Ellbogen umklammerten.
Es sollte ihr Hochzeitstag sein. Sie hatte sich darauf eingestellt, aufgrund des langen Sitzens in der Kutsche Muskelkater zu bekommen und peinliche Gespräche mit ihrem neuen, fremden Ehemann aus einem neuen, fremden Land zu führen. Schließlich war sie als einziges Mitglied der Königsfamilie, das keine Magie beherrschte, nur so viel wert.
Und der Rest des königlichen Zirkels ließ keine Gelegenheit aus, ihr das ins Gedächtnis zu rufen.
Dennoch hätte sie nie erwartet, so unsanft aus ihrer Kutsche gerissen und in ein Land entführt zu werden, in das sich niemand zu begeben wagte. Vramid mit seinen zahlreichen Bergketten, häufigen Hagelstürmen und tödlichen Wildtieren war eine Todesfalle für jeden Unvorbereiteten.
Und nun spiegelten die kalten Winde und erschreckenden Stürme außerhalb der kargen Steinmauern der Festung genau das wider, was in Daphnes Herz vorging.
"Ruhe!"
Ohne weitere Vorwarnung stießen die Wächter sie zu Boden, woraufhin sie aufschrie, als ihre Knie auf den harten Marmorboden aufschlugen. Die Haut ihrer Hände brannte, als ihre Handflächen aufgrund der Wucht des Stoßes über den Boden strichen.
"Was fällt euch ein!"
Die Wachen lachten nur und entfernten sich, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.
Daphne war eine Prinzessin; niemals zuvor war sie derart grob behandelt worden. Die Haut ihrer Hände war nun rot und wund, ihre Knie geprellt. Doch das war das geringste ihrer Probleme.
Direkt in ihrem Blickfeld befanden sich ein Paar polierte Stiefel. Widerwillig wanderte Daphnes Blick nach oben, ihr breitete sich eine Gänsehaut aus. Eine lange Beinpaar, ein kräftiger Oberkörper, eine breite Brust in feiner Militäruniform - ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie bemerkte, dass ein Paar dunkler, bernsteinfarbener Augen auf sie herabblickte.
Auch wenn die Augen eine warme Farbe hatten, war der Blick, den er ihr zuwarf, eiskalt. Ihr sträubten sich die Haare und ihr Blut frohr.
"Guten Tag, Prinzessin", sagte der Mann mit tiefer Stimme, langsam und sinnlich.
Von dort aus, wo Daphne lag, wirkte der Mann, als überrage er sie, obwohl sie wusste, dass dies sicherlich nicht weit von der Wahrheit entfernt war. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und stützte den Kopf mit seinen Knöcheln ab, während er auf sie herablächelte.
Sein Lächeln, zusammen mit seinen dunklen, kalten Augen, ließ Daphne sich bedrohter fühlen, als wenn er sie auf der Stelle mit einem Schwert durchbohren würde. Sie hatte Gerüchte gehört, dass die Leute von Vramid skrupellos seien, aber dieser Mann schien eine noch raffiniertere Art von Grausamkeit zu verkörpern – die Sorte, die einem das Seil zum Selbsthängen bietet.
Er war ein Mann, der es genoss, mit seiner Beute zu spielen.
"Guten Tag", antwortete Daphne und richtete sich unsicher auf, während sie versuchte, ihr pochendes Herz zu beruhigen. Ihre Hand ging instinktiv zu ihrer Opalkette, bereit sie zu zerschlagen und ein Signal um Hilfe zu senden, sobald er abgelenkt wäre.
"Sie scheinen im Vorteil zu sein. Ich kenne Ihren Namen nicht."
"Ein gebildeter Mensch könnte es erraten, Prinzessin. Es ist nicht schwer", entgegnete er spöttisch. "Den Barden zufolge sollte die erste Prinzessin von Reaweth die Weiseste aller Königshäuser sein. Sind Sie das Beste, was sie zu bieten haben, so muss Ihre Familie wohl so intelligent sein wie ein Sack Steine."
Daphne zuckte wütend zusammen, ihre Furcht war nun von Empörung über die Beleidigung ihrer Familie begleitet. Wäre sie nicht seine Gefangene, hätte sie ihm eine Standpauke für seine Unverschämtheit gehalten.Anstatt ihren Verlobten zu rufen, konnte sie ihn nur wütend anstarren. Sie erinnerte sich daran, Zeit zu gewinnen. Sie besaß den Kristall, und ihr Verlobter würde bald bemerken, dass sie nicht erschienen war und eine Suchtruppe aussenden.
"Soll ich drei Mal raten?"
"Sehe ich etwa aus wie ein Kobold aus einer Geschichte, der darauf aus ist, dein Erstgeborenes zu entführen?" In seinen Augen lag nun ein amüsiertes Funkeln. Daphne erstarrte – das war eine Geschichte, die den Kindern in Reaweth vorgelesen wurde. Sie zweifelte, dass sie bis nach Vramid gelangt war.
Wie kannte dieser Mann sie? Sie musterte ihn misstrauisch.
"I–"
Plötzlich stand er auf und überragte sie. Er war so nah, dass sie den Geruch von Zedern und Kiefern wahrnahm. Instinktiv wollte sie einen Schritt zurückweichen, aber ihre Beine waren wie festgenagelt.
"Was machst du da?" Daphne hätte schreien wollen, doch die Luft blieb ihr weg.
"Tsk, tsk. Du bist schlau, Prinzessin. Aber ich muss mich korrigieren. Nicht schlau genug." Die Finger des Mannes strichen sanft über ihre Wange, bevor sie ihr Kinn packten und so weit anhoben, dass es fast schmerzhaft war.
Aus dieser Nähe konnte sie die goldenen Sprenkel in seinen Augen sehen. Sie waren immer noch beängstigend kalt, trotz des amüsierten Lächelns auf seinem Gesicht. Er beugte sich vor, als hätte er vor, sie zu küssen.
"Nicht–" Verzweifelt versuchte Daphne, ihn wegzustoßen, doch dann wurde ihr klar, dass sie einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte.
Sein Ziel waren nicht ihre Lippen. Es war ihre Halskette.
Bevor sie danach greifen konnte, zog er die Kette leicht von ihrem Hals. Daphnes Hals brannte, wo die Kette losgerissen worden war, und sie sah hilflos zu, wie die Kristallperlen beim Aufprall auf den kalten Marmorboden laut klimperten.
"Wie…" Daphnes Augen weiteten sich vor Schock und Furcht. Diese Halskette war ein unbezahlbares Geschenk ihrer Schwester, hergestellt für die höchsten Adligen. Sie sollte unzerstörbar sein.
Und doch … Dieser Mann hatte sie ihr genommen, als wäre sie nur ein billiger Schmuck vom Markt.
"Das? Das ist nichts." Er lachte und schwenkte den riesigen Opalkristall vor Daphnes entsetztem Gesicht. "Entschuldige. Hast du etwa auf diesen Kristall als Rettung gesetzt?"
"Gib ihn zurück!"
"Er gehörte zuerst mir." Bevor Daphne seine Worte verstehen konnte, ballte der Mann die Faust und zermalmte den Kristall mühelos, ganz zur Freude über Daphnes Pein.
"Du Ungeheuer! Warum hast du mich hergebracht?", fauchte Daphne und presste die Worte heraus. Furcht und Wut tobten in ihr. Ihr Blick fiel auf die zerbrochenen Stücke der Kristallperlen, nun bedeckt mit einer dünnen Schicht des purpurnen Blutes des Mannes.
"Nun", sagte er mit einem trägen Grinsen und lehnte sich zurück in den Thron. "Natürlich, um meine Braut zu werden."