Vivian kam nachmittags am nächsten Tag wieder zu sich. Ihre Beine schmerzten, so wie ihr Kiefer und ihre Schulter. Der Schmerz erinnerte sie an das was passiert war und die Scham kroch in ihr hoch. Sie beschloss schnell, dass es besser so war. Egal was Gabriel von ihr wollte, das war nun vorbei, spätestens an dem Blick als er sie sah,- wusste sie, dass er nicht auf ihr Blut aus war. Doch egal was es war, dass er wollte, es war nun zu Ende. Er hatte gesehen, wie kaputt sie war, und es war für alle das Beste. Ja es war besser so, für sie und für ihn. Sie konnte zurück,- und als sie das dachte rannen ihr ihre Tränen hinunter. Sie atmete zittrig ein bevor sie sich versuchte damit abzufinden.
Sie drehte sich um, sie lag mit dem Rücken zur Tür, und wollte aufstehen. Doch da war er, sein perfektes Gesicht war ausgezehrt und er schlief noch, er war hier bei ihr. Sie fing an zu schluchzen und brachte nur „Gabriel" hervor.
Er schlug die Augen auf.
„Gabriel" Er sah sie geschockt an, geschockt, dass sie wach war, geschockt, dass sie sprach, und geschockt, dass es ausgerechnet sein Name war den sie weinend von sich gab. Er hatte ihre Stimme noch nie gehört, und das erste Mal im Badezimmer war er zu erschüttert, um wahrzunehmen wie zart und klar sie war. Sie sprach seinen Namen mit so viel Liebe und aus einer so großen Not aus, was zwangsläufig dazu führte, dass sein Puls beschleunigte.
Er zog sie an sich und hielt sie in seinen Armen.
„Shh, alles ist gut." Sie wiederholte seinen Namen und er war dankbar dafür, er wusste, dass er nicht träumte, solange sie das tat, sie war endlich wieder bei sich. Sie sprach und selbst wenn sie weinte, es war mehr Emotionen als er je an ihr gesehen hatte.
Er hielt sie fest, bis sie sich beruhigt hatte. Sie klammerte sich an ihm fest, ihre Angst zu groß, dass er verschwand, wenn sie losließ. Gabriel, der jede ihrer Bewegungen bemerkte, war überglücklich.
„Hungrig?" fragte er und als sie nickte hob er sie hoch, sie quietschte kurz was ihm zum Lachen brachte. Er trug sie durch den Gang, während sie rot anlief und ihr Gesicht in ihren Händen versteckte. Er hatte sie schon getragen, doch irgendetwas hatte sich verändert in ihrer Dynamik. Gabriel konnte nicht widerstehen und stieß seine Nase liebevoll gegen die Hände auf ihrem Gesicht. Bevor er seine Stirn gegen ihre legte. Er musste nicht sehen, um sie die Stiegen herunterzutragen. Er löste sich erst wieder von ihr als er sie an den Esstisch setzte. Das war das Zeichen für die Angestellten das verspätete Mittagessen zu servieren.
Gabriel wartete geduldig, bis alles angerichtet wurde. Er saß bequem in seinen Stuhl gelehnt und beobachtete, dass Offensichtliche, währen Vivien auf ihren Händen saß, weil sie nichts damit anzufangen wusste.
Der Junge versuchte die richtigen Worte zu finden. „Wir müssen über ein paar Sachen reden..." Vivien sah nervös zu ihm.
„Nein keine Angst, es ist nichts Schlimmes, nur wie es weiter geht." Er räusperte sich als er überlegte wo er anfangen sollte. „Was ist gestern passiert? Wieso hast du das getan?"
Das Mädchen kaute auf ihrer Unterlippe, das war exakt, dass was sie am wenigsten erklären wollte. Sie öffnete ihren Mund bevor sie ihn wieder schloss. Ihm war klar, dass es ihr schwer fiel darüber zu reden, schließlich hatte sie sich nicht nur schwer selbst verletzt, ihre Handlung musste etwas verändert haben, weil sie auf einmal sprach und sich, wenn auch nur ein bisschen, öffnete.
„Bitte versuch es zu erklären." Er sah fordernd zu ihr, doch das bewirkte nur das Gegenteil, von dem was er erreichen wollte. Sie wich seinen Augen aus und fing an zu zittern, was sie zu unterdrücken versuchte. Er bekam sofort Panik „Okay okay, alles in Ordnung! Du musst nichts erklären nur bitte..." Er stand auf und Kniete sich vor ihrem Stuhl, seitlich vor ihr. „Alles ist gut, ich werde nicht mehr fragen." Er flüsterte ihr zu „Nur bitte mach das nie wieder, wenn es dir nicht gut geht dann kannst du alles in diesem Haus zerstören, du kannst es abfackeln, und das ist kein Problem, aber bitte." Er legte seine Finger um ihr Kinn, um sie zu zwingen ihn anzusehen. „Verletzte dich niemals selbst. Niemals." Sie hörte abrupt zu zittern auf. Vivien flüsterte. „Du schickst mich nicht zurück?" Ihre Tränen liefen ihre ohnehin schon roten Augen hinunter. Sie fragte in einer Verzweiflung, die für ihn nicht auszuhalten war. Er umarmte sie so fest er konnte. „Nein, nein, wie kommst du darauf, dass hier ist dein Zuhause, du wirst niemals weggeschickt" Das Mädchen konnte nicht glauben was sie da hörte. Er würde ihr erlauben hier zu bleiben? „Wieso?" Sie hatte noch niemals diese Frage gestellt, nicht den Wachen, nicht den Arzt, nicht dem Mister.
„Ich werde dir alle deine Fragen beantworten aber erst wenn du alt genug bist. Du musst im Moment nur gut Essen, gut schlafen und bei mir sein, sonst nichts." Sie nickte in seine Schulter, weil er sie noch immer hielt. Gabriel hoffte, dass sie nicht auf eine Erklärung bestand. Er konnte erst alles erklären, wenn sie sich hoffnungslos in ihn verliebt hätte, wenn sie alt genug und stabil genug war, sonst würde sie ihn verlassen und er würde sie nie wieder finden. Eine andere Chance hatte er nicht, denn jetzt hatten sie einen Neustart. Doch seine Befürchtungen waren grundlos. Die Frage war ihr nur herausgerutscht, sie war unendlich dankbar für alles was er für sie tat. Jemand bei Verstand hätte Angst vor ihm, sie hatte von dem Massaker gehört und selbst miterlebt, wie gewalttätig er sein konnte. Doch sie war nicht bei Verstand. Sie war glücklich über das Blut an seinen Händen, sie sah es als eine liebevolle Geste an und sie fühlte sich geehrt. Ihr ganzes Leben war von Gewalt geprägt. Was für andere eine liebevolle Handlung war, wie ein großes Geschenk, war für sie das Abschlachten von so vielen Menschen, dass Gabriel als Massenmörder durchging. Sie wusste instinktiv, dass ihre Gedanken nicht normal waren, doch sie störte sich nicht daran. Sie war jetzt nicht mehr allein und sie würde ihn so annehmen wie er war, er würde sich an ihren Scherben schneiden, während sie sich mit dem Blut an seinen Händen befleckte. Sie lächelte, es gefiel ihr wie kaputt sie beide waren, weil es etwas war, was sie gemeinsam hatten.