V: „Das war wieder mal sehr gut gelungen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass du einfach alles kannst, was du dir vornimmst."
M: „Ja, wie dein Vater schon sagt, du bist wirklich unglaublich talentiert. Ich bin sehr stolz auf dich."
V: „Ja, so gehört es sich für ein Kind dieses Hauses auch. Nichts anderes haben wir von dir erwartet Seika."
Seit Seika vor 3 Jahren zum ersten Mal auf der Bühne stand, hatte sie das Gefühl, das sie mit ihrem Talent viele Menschen inspirieren kann. Doch es blieb nicht nur bei ihrer Hauptrolle als Prinzessin beim kleinen Theaterstück der Schule. Seika erkannte, dass sie noch viel mehr verborgenen Talente hatte. Bogenschießen, Eiskunstlauf, Turnen, Klavier, Gesang und Tanz, doch auch das Schwimmen interessierte sie. Für sie waren alle Wettbewerbe in diesem Bereich nun zu ihrem Alltag neben der Schule geworden.
Doch diese Wettbewerbe wirkten für Seika nur mehr wie ein Unfairer Zweikampf. Die anderen Teilnehmer in ihrem Alter schienen mit Seika nicht mithalten zu können, doch trotz Einmischung und Melden dieser Probleme änderte das nichts an den Vorstellungen eines Wettbewerbs der Veranstalter. Als die anderen Kinder bemerkten wie Seika mit den Veranstalter und den Beurteilern sprach entstanden Gerüchte um Seika. Die Kinder meinten zu hören, wie Seika mit den Beurteilern gesprochen hätte und versuchte sie zu bestechen.
„Habt ihr schon gehört? Seika bezahlt wohl die anderen, damit die Sie gewinnen lassen…"
„Ja, sie bezahlt dafür, dass sie mit jüngeren und verletzten schwimmen darf, damit sie immer gewinnt."
Doch auch andere Gerüchte um Seika machten ihren Umlauf.
„Seika macht wohl nichts anderes als nur zu üben. Die hat doch gar kein Leben."
„Seika ist so arrogant, mit der kann man nicht mal reden, ohne dass sie wieder über sich selbst redet."
„Seika meint sie wäre zu gut, um mit uns zusammen zu üben."
Seika fühlte sich nun Tag um Tag immer schlechter. Die Gerüchte über Seika hatte sie selbst ebenso bemerkt. Wo sie sich noch anfangs keine Gedanken darum machte, was die anderen sagten, so fing sie doch auch an selbst zu glauben, dass da etwas dran sein musste. Sie fühlte sich nun hin- und hergerissen, was nun die Wahrheit war und was nicht. Obwohl sie verstand, woher die Gerüchte kamen, so wusste sie nicht, wie sie diese aufhalten konnte. Das einzige Glück und die einzige Hoffnungen den Gerüchten zu entfliehen, war an den anderen Orte, an denen sie ihren weiteren Hobbys nachging. Doch welche davon waren aufgesetzt und für welche hatte sie sich selbst entschieden? Sie grübelte immer mehr darüber nach. Tagtäglich wirkte sie nun sehr abwesend und tagträumend. Doch das entging auch nicht den anderen in den Vereinen, in denen sie war. Es schien das ihr tagträumerisches Auftreten nur zu noch mehr Gerüchten führte. Doch Seika reagierte nicht mehr darauf. Nicht weil es ihr egal geworden war, sondern weil sie wichtigeres zu tun und zu überlegen hatte. Sie lernte selbstständig Prioritäten in ihren Taten und Gedanken zu setzen und diesen nachzugehen. Tage über Tage, Woche über Woche dachte Seika nach, bis sie es endlich verstand. Fast nichts von dem was sie machte, war eine Idee von ihr gewesen. Das Bogenschießen nicht, der Eiskunstlauf nicht, das Turnen nicht, Klavierspiel ebenso wenig. Der Gesang und auch das Schwimmen waren die einzigen Dinge, die Seika wirklich gerne machte. Und neben dem auch das schon fast vergessene Schauspiel.
Seika erinnerte sich daran, wie sie vor 3 Jahren die Prinzessin spielte und von der lustigen Fee durch die Welten geführt wurde. Es kam ein leichtes Grinsen auf, das jedoch schnell wieder in ein Schmollen wandelte. In diesem einen Moment hatte sich Seika wirklich frei gefühlt. Die Schauspielerei war für sie die einzige Form des Ausdrucks, wo die Leute auch gerne zusahen und Sie Seika nicht so schnell verurteilten. Es war ein Gefühl endlich Sein zu können, wer sie war. Bei jedem anderen Verein und bei jeder anderen Tätigkeit ging es ihnen um Präzision, um Eleganz, um ein außerordentlichen Auftritt. Doch bei der Schauspielerei war das alles für Seika nicht nötig. Das was die Menschen sahen gefiel ihnen. Sie wussten nicht, und mussten auch nicht wissen, dass Seika niemanden gespielt hat, außer sich selbst. Der Ausdruck und die Emotionen, die sie spürten, waren wegen der Begeisterung, die sie für Seika hatten. Aber es war vorbei. Die Schauspielerei und der Ausdruck der echten Gefühle war nur ein kleiner Moment gewesen. Nur diese eine Aufführung. Nur diese eine Moment.
Sie hatte den Bogen bereits überspannt, als sie sich für das Schwimmen und den Gesang entschieden hatte. Es war vorbei. Mehr Möglichkeiten würden sie ihr nicht geben. Der Zeitplan war streng und geordnet. Entweder sie müsste eines der beiden geliebten Hobbys aufgeben, oder sich mit diesen zufrieden geben. Niemals und zu keiner Zeit würden die anderen Vereine verlassen werden dürfen. Es waren Traditionelle und Familiäre Tätigkeiten, die Seika erlernen musste, um diese eines Tages an ihre Kinder weiter zu vererben. Das war der Kreis des Lebens. Der Kreis des Seins. Der Kreis, der Seika in eine tiefe, tiefe Grube blicken ließ.
"Manchmal will ich weinen. Manchmal will ich schreien. Aber ich kann es nicht. Ich darf es nicht. Ich muss bleiben wer ich bin. Ich muss es aushalten. Sie wollen es so. Meine Familie und auch meine Tradition. Der Zwang, der auf mir lastet. Der Druck, der auf mir liegt. Keine falsche Bewegung, keine falschen Worte. Und auch keine Hoffnungen dem je zu entkommen. Wieso hört mir niemand zu? Wieso will mir niemand helfen? Will ich es überhaupt? Diese Hilfe, nach der ich nie gefragt habe? Immer besser. Immer höher. Immer weiter. Ohne Ende in Richtung Perfektion. Wieso? Wieso muss ich das machen? Wer hat das für mich entschieden? Wer sagt es mir? Jeder, außer ich selbst. Das ist es.
Ich will nicht. Ich will nicht! Ich will nicht mehr!! Aber das ist egal. Ich bin egal. Ich bin nur für sie da. Zu ihrer Unterhaltung. Für ihre Würde, ihre Ehre und ihren bescheuerten Stolz. Wer hat mich gefragt? Traditionen und Erben, für Leute, die über mich urteilen und hinter meinem Rücken schlecht über mich reden. Für die Leute, die Gerüchte über mich erzählen und mich vor meinen Augen beleidigen. Für die, die mich Arrogant nennen und ein wie ein Püppchen behandeln. Für die, die sich nichts daraus machen, wer ich bin. Für die…Für die, die nichts anderes von mir wollen, außer unterhalten zu werden…"
Seika fällt zu Boden und fängt an zu weinen. Sie stützt sich an ihren Händen nach vorne und sitzt auf den Knien, während ihr Oberkörper sich nach vorne beugt. Das Weinen wird zu einem bitteren Heulen.
„…Für die…die mich eigentlich gar nicht mögen. Für die…die selber gar nichts können. Für die…die nicht einmal verstehen, wie hart ich immer daran arbeite, aber immer mehr von mir verlangen, bis ich unten auf dem Boden liegen und vor Schmerzen weine, und vor der Angst, dass ich irgendwann nicht mehr gut genug für sie bin…
Sie sind mir egal…Ich will nicht mehr…Sollen sie mich doch nennen wie sie wollen…Das bin ich nicht…Ich bin Ich und keine Unterhaltung für sie! Ich breche diesen Stolz! Ich breche diese Traditionen! Ich will so wie damals, in diesem einen Moment nur für mich selbst Ich sein!"
Seika steht auf und das Weinen wird leiser. Sie ballt ihre beiden Hände zu Fäusten und atmet angestrengt vom Weinen stark ein und aus. Seika steht in ihrem geschlossenen Zimmer vor ihrem Bett und tritt 3-Mal stark mit ihrem linken Fuß auf den Boden. Seika spürt ein Stechen in ihrer Brust und das Atmen fällt ihr wieder leichter.
„Ja, ich mache das nicht mehr für sie. Ich mache das nur noch für mich. Ganz alleine. Meine Kreativität und mein Talent sind für mich da. Ich werde nicht mehr das machen, was sie von mir wollen. Ich mache nur noch was ich will und wie ich es will!"