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85.71% Licht und Schatten / Chapter 6: Entscheidungen II

Kapitel 6: Entscheidungen II

Unaufhörlich schlug sein Herz. Wie eine Maschine, schnell und laut. Er hatte das Gefühl, dass es bis an die Rippen pulsierte. Silan wollte nicht, dass der Fremde seine Angst mitbekam, aber es war zu laut. Unüberhörbar laut....

"Du brauchst keine Angst zu haben. Wenn ich dir hätte etwas antun wollen, wäre es bereits passiert!"

Die Stimme kam aus dem Mund eines der Raufbolde aus dem Lyaner, die vor drei Tagen die Stadtwache in der kleinen Kneipe zusammengeschlagen hatten. Und auf seinem grimmen Gesicht zeichneten sich ein paar weiche Züge ab, die wahrscheinlich freundlich wirken sollten, was bei dem Prügelknaben etwas unbeholfen, aus Mangel an Erfahrung, zur Geltung kam. "Die Stadt ist im Aufruhr, König Mios der III. hat es bei der Vergeltung seiner Stadtwachen übertrieben. Es fängt langsam an. Die Gewalt hat die Unschlüssigen mobilisiert. Nun ist die Revolution nicht mehr aufzuhalten." Fuhr er ernst fort."Es hat vor zwei Tagen angefangen und nun gründen sich schon mehrere kleine Widerstandsgruppen, die der Miliz die Stirn bieten." Silan fragte sich immer noch, warum der breite Man ihm das erzählte. " Da ist doch ganz klar, das wir uns da gegenseitig unterstützen müssen. Und du warst da so fest gefroren und bewegungslos, dass ich schnell vom Fenster zur Tür gerannt bin..." Wenn Silan genauer zugehört hätte, hätte sich auch die Anspanung in Ihm gelöst, aber er stand nach wie vor benommen am Eingang der Hütte. Wie ein kleiner verdutzter heroischer Anführer, der er mal werden sollte. Als der Bärtige nun ein fürsorgliches Lächeln aufsetzen wollte, konnte Silan nicht anders als unwillkürlich zu glucksen, ein Glucksen, dass in Lachen überging und ein Lachen, dass die Anspannung und Absurdheit verschlang. So komisch sah das versuchte Lächeln aus. Erst war der Raufbold verwirrt, ob des Lachens, aber scheinbar brach es das Eis was zwischen den beiden lag: "Leon!" Sagte der ältere und schob Silan seine Pranke entgegen, der stutzte drückte dann aber seine kleine Hand hinein. "Ich bin Silan." hörte er sich selber sagen und strahlte über beide Ohren, wobei das übertriebener authentisch aussah, als bei einem Schauspieler am Hof. Sie grinsten sich noch eine Weile an, bis Leon den einsetzenden peinlichen Moment brach. "Willst du was essen? Meine Frau hat eben gekocht." Silan nickte euphorisch und erst jetzt merkte er, dass er alle Dinge vom Markt, vor Angst, auf die Straße fallen lassen hatte. Der Gedanke wurde jäh vom gedeckten Tisch im Nachbarzimmer unterbrochen. Die Gerüche von gebratenem Speck und Eiern sogen sich in seine Nase. Daneben lagen noch verschiedene Brotsorten und ein paar Früchte, die er heute auf dem Markt gesehen hatte. Leon deckte ein weiteres kleineres Holzbrett und machte eine einladende Geste. " Wir wollten gerade essen und bei deiner Größe macht einer mehr oder weniger auch keinen großen Unterschied." Erst ein Weilchen nach dem beide zu Essen begonnen hatten nahm Silan nach erneuter Aufforderung zaghaft ein Stück Brot. "Greif ruhig zu!" sagte der Große, ein halbes Stück Schinken schmatzend "das Essen kommt nicht von allein zu dir!". Nun nahm sich der Kleine ein Stückchen Fleisch und sog den genüsslich den Bratgeruch ein, bevor er probierte. Der deftige gewürzte Fleischbrocken half Silans verkümmerten Geschmacksknospen zu neuem Leben zu erblühen und verleitete Silan zwangsläufig zum Schlingen. Das Brot war frisch gebacken, so daß es immer noch weich und warm war und die Kruste zwischen den Zähnen knusperte. "Was habt ihr eigentlich vor?" fragte Silan naiv, als sein voller Hungermagen ihm ein Weiteressen unmöglich machte.

Leon goß sich in Ruhe noch einen Becher mit rotem Wein ein und wurde mit einem Mal ernst und auch etwas besorgt; würden jene aus seiner Miene schließen, die ihn schon länger kannten: "Eigentlich dürfte ich dir das alles gar nicht erzählen ohne dich nachher sicherheitshalber umzubringen. Also lassen wir das lieber." Die Essensgeräusche gingen weiter und Silan saß still auf seinem Platz. Leon goß sich in Ruhe noch einen Becher mit der roten Flüssigkeit ein und wurde richtig ernst: "Wir wollen den König und seine intriganten Berater stürzen und einen Ältestenrat einsetzen. Einen der sich nicht nur um seine eigene Schatzkammer, sondern um die ganze Stadt kümmert.... Was die anderen Gruppen vorhaben, weiß ich nicht. Zum Glück konnten wir einen dieser Berater mit Geld für unsere Sache gewinnen. Wie es aussieht sind wir über die Schritte von Mios nun immer im Vorraus informiert. Zuerst haben wir die Wachen im Hafenviertel, Stück für Stück beseitigt um nun in Ruhe den Überfall auf die Patrollien..."

Silan konnte seine Augen nicht mehr offen halten und, obwohl ihm das peinlich war, dass es ihm nicht mehr möglich war zuzuhören, ließ ihn der volle Bauch und die Wärme im Raum schnell einschlummern. Der erste dumpfe Schnarcher hatte dann Leons Vortrag unterbrochen. Er beugte sich fürsorglich über den Kleinen, hob ihn vorsichtig hoch und legte ihn dann aufs Bett, nicht ohne eine Decke unter den schmutzigen kleinen Kerl zu legen, und deckte ihn dann zu. Er blickte noch einmal kurz zurück auf das friedlich schlafende Gesicht, bevor er wieder ans Fenster ging.

Es regnete. Leon schaute besorgt hinaus auf die dunklen Regenwolken, die über der Stadt hingen. In letzter Zeit war er sich nicht mehr so sicher gewesen, ob all das, was er immer wollte, auch so richtig ist, wie Sie es machten. Behände zog er sich seinen Kapuzenmantel über und huschte durch den Ausgang hinaus in den Regen. Leon hatte sich abendliche Spaziergänge schon vor zwei Jahren angewöhnt um sich seinen Gedanken zu stellen und um diese zu sortieren.

Es war früh am Morgen, als Silan aufwachte und sein erster Gedanke dem Streicher galt. Er hatte diesen den ganzen gestrigen Abend nach dem Schock vergessen. Im Nu war er auf den Beinen und wollte losrennen um schnell nach Hause zu kommen, als er bemerkte, dass auch Leon schon auf war. "Hör zu," begann Silan. "Leon, vielen Dank für Alles, aber ich muss los, ich habe etwas wichtiges vergessen und hätte dort sein müssen." "Ich weiß", erwiderte Leon, "du hast die ganze Nacht darüber im Schlaf gesprochen. Nimm dieses Bündel, darin wirst du etwas zu Essen finden und zwei Verbandsbinden. Du wirst sie brauchen." Bevor Silan damit zur Tür konnte hielt ihn Leon am Arm fest:

" Ich hoffe du bist dir der Verantwortung bewusst, die die Worte gestern von dir verlangen. Ein falsches Wort zu jemandem und du bist tot." " Danke" sagte Silan etwas verwirrt und verängstigt, als der Griff sich lockerte und verließ das Haus.

Silan rannte so schnell er konnte bis er den Eingang seiner "Hütte" erkannte und stolpernd vor dieser zu stehen kam. Langsam zog er das knarrende Brett auf, um den Streicher nicht zu wecken. Doch seine Sorge war unbegründet gewesen und als er den Fremden im Stroh schlafen sah, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Es schepperte dumpf, da er in der Erleichterung, auch hatte seinen Beutel fallen gelassen. Der Streicher fuhr herum und seine Augen blitzten zur Tür, das Schwert gezückt. Erst als er den Kleinen wahrnahm, ließ er die Waffe sinken und sein Gesicht verzog sich vor Schmerz über diese rasche Bewegung. Er rollte sich zurück, auf den Rücken, ins Stroh. "Tut mir leid, dass ich so lange weg war." sagte Silan. "Ich habe dafür Essen und Binden mitgebracht."

Die Augen des Fremden waren nun klar, aber nicht mehr glasig, er hatte das Fieber nieder gerungen. Die Stichwunde müsste dennoch dringend verbunden werden, damit sie sich nicht entzündet. Silan war überrascht als er dem Fremden ins sitzen half. Scheinbar war seine Wundheilung schnell. Der Streicher hielt die Binden in Position während Silan mit der weißen Bandage den Oberkörper umschlang. "Du musst sie schön fest ziehen, sonst bringt das ganze nichts", sagte der Streicher zerknirscht. Ein paar Sonnenstrahlen, die zur Tür rein fielen, schienen seinem Körper neues Leben wiederzugeben; es war als ob der Körper langsam, aber sicher, aus einem langen Alptraum erwachte. Er hatte Gefühl in Armen und Beinen. Die düsteren Schatten, die auf seinem Geist lagen, waren wie Wolken vorbei gezogen. Dadurch fühlte er sich in der Lage logisch zu denken und sein Handeln wieder zu koordinieren. Das ansteuern seiner Arme strengte ihn aber immer noch zu sehr an. Es fühlte sich an, als ob sich seine Muskeln zurück entwickelt hatten. Was bei der kurzen Zeit natürlich schwer denkbar war. Jede Zuckung wirkte eher mechanisch und akkurat wie ein Uhrwerk, nicht aber geschmeidig. Dennoch war es ein schönes Gefühl, was er aber aufgrund der großen Schmerzen nicht noch einmal aufs Neue erleben wollte. Er saß nun aufrecht um etwas zu essen und zu trinken.

" Ich bin übrigens Silan" "Ich bin Nihil Silan. Du hast eine ehrliche Haut Kleiner, dass gefällt mir. Was denkst du, was du für eine Berufung hast?" Der Junge war überrumpelt. Der Fremde hatte noch nichts zuvor gesagt und dann gleich sowas? "Danke, was meinst du mit einer Berufung?" entgegnete er bevor der Streicher mit halber Stimme weitersprach: "Hast du dich denn nie gefragt, ob deine Existenz nicht einen tieferen Sinn hat. Eine Bedeutung, den Sinn des Lebens, oder vllt auch eine Aufgabe?" Silan war überfordert, ein bisschen genervt von der Frage, wollte aber keine Dankbarkeit einfordern, so dass er trocken: "Ich bin hier, weil ich geboren wurden" parierte. Das war das erste, was ihm in den Kopf kam. Der Streicher musste über diese bewusst naive Behauptung schmunzeln. "Außerdem kümmere ich mich darum, dass ich hin und wieder genügend zu Essen am Abend habe", fuhr Silan fort, den das Schmunzeln aufregte. " Aber du musst doch auch einen Traum haben, was soll mal aus dir werden? Eigentlich überlegte Silan gar nicht erst ob er dem Fremden etwas von dem Kapitäns- oder dem Rittertraum sagen sollte, sondern schloss nur resigniert mit: "Ich habe gemerkt, dass Träume nicht satt machen!". "Allen Träumen zugleich hinterherjagen mit Sicherheit nicht, aber einem vllt. schon." fing der Fremde an und während der Streicher noch weiterreden wollte, schob ihm der kleine ein Stück Brot hin: "Wenn du magst iss gern ein Stück, ich höre deinen Magen ja schon knurren und das löst bei mir ein unschönes Gefühl aus. " Woraufhin ein reges Schmatzen das Frühstück begleitete und die Diskussion auf eine Ebene lenkte, auf der man dem Geschmack mehr Beachtung schenkte als dem Gehör.


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